19.10.2023

ODDO BHF Asset Management

Anstieg der Anleiherenditen eröffnet Anlegern neue Chancen

Die Anleihenrenditen sind in den letzten Monaten stark angestiegen. Laurent Denize und Jan Viebig, CIOs von ODDO BHF, beschäftigen sich mit den Ursachen des Renditeanstiegs und den Konsequenzen für Anleger. 

Was war die Ursache für den Renditeanstieg?
Die Staatsanleiherenditen sind so hoch wie zuletzt vor mehr als einem Jahrzehnt. So sind die Finanzierungskosten im Falle 10-jähriger US-Staatsanleihen von 3,7% per Mitte Juli auf über 4,8% in der zweiten Oktoberwoche gestiegen. Im gleichen Zeitraum kletterten die Renditen 10-jähriger Staatsanleihen aus Deutschland von 2,2% auf 2,9% und jener aus Italien von 4,0% auf 4,9%. Für den jüngsten Renditeanstieg gibt es gleich mehrere Gründe: die Politik der Notenbanken, Wirtschaftswachstum und starke Arbeitsmärkte, Inflationserwartungen und Laufzeitprämien.
1. Notenbankpolitik: Am 20. September 2023 hob die Fed die Zinsen zwar nicht weiter an, machte aber deutlich, dass die Zinsen höchstwahrscheinlich für längere Zeit hoch bleiben würden: “… die wichtigste Frage zu diesem Zeitpunkt ist nicht, ob eine weitere Zinserhöhung in diesem Jahr erforderlich ist oder nicht, sondern eher wie lange wir die Zinsen auf einem ausreichend restriktiven Niveau halten müssen, um unser Ziel zu erreichen …” (stellvertretender Fed-Vorsitzender für Bankenaufsicht Michael Barr). Auch Christine Lagarde bekräftigte, dass die Zinsen „so lange wie nötig” hoch bleiben werden, um die Inflation zu zügeln. Damit mussten die Marktteilnehmer realisieren, dass die Zinssätze wohl für längere Zeit hoch bleiben werden, was die Finanzierungskosten weiter in die Höhe treibt.
2. Wirtschaftswachstum & robuster Arbeitsmarkt: Ein weiterer Grund für den Renditeanstieg ist die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft und die anhaltende Stärke des Arbeitsmarktes. Die Zahl der Beschäftigten außerhalb des Agrarsektors ist in den USA im vergangenen Monat um 336.000 gestiegen – viel stärker als erwartet. Die US-Wirtschaft ist selbst 18 Monate nach Beginn des Zinserhöhungszyklus der Fed noch zu resilient. In der Regel kommt es innerhalb von 12 bis 18 Monaten nach der ersten Zinsanhebung zu einer Abschwächung der Konjunktur. Diesmal jedoch scheint sich die Anpassung an steigende Zinsen sowohl in den USA als auch in Europa langsamer zu vollziehen, was die These von den „auf längere Sicht hohen Zinsen“ stützt. Angesichts des anhaltend kräftigen Wachstums und der engen Arbeitsmärkte müssen die Notenbanken die Zinsen hochhalten, um die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen und damit die Inflation zu dämpfen.
3. Inflationserwartungen: Inflationserwartungen sind eine wichtige Determinante für künftige Inflationsraten. In einer aktuellen Studie von Albrizio und Bluedorn (2023) heißt es, dass jeder Anstieg der kurzfristigen Erwartungen um
1 Prozentpunkt die Inflation in fortgeschrittenen Volkswirtschaften um 0,8 Prozentpunkte steigen lässt.
Die aktuell prognostizierten Inflationsraten liegen sowohl am kurzen wie am langen Ende über dem historischen Durchschnitt der Zinserwartungen. Während die Gesamtinflationsraten sinken, liegt die Kerninflation (bei der die volatileren Lebensmittel- und Energiepreise herausgerechnet werden) immer noch mehr als doppelt so hoch wie das 2%-Inflationsziel von EZB und Fed. Der Anstieg der Inflationserwartungen ist einer von mehreren Faktoren, die die Anleiherenditen auf den höchsten Stand seit 16 Jahren getrieben haben.
4. Laufzeitprämien: Anleger verlangen einen Ausgleich für das von ihnen während der Laufzeit einer Anleihe zu tragende Zinsänderungsrisiko. Diese Kompensation wird als „Laufzeitprämie“ bezeichnet. Die Laufzeitprämie für 10-jährige US-Staatsanleihen ist nicht nur deswegen gestiegen, weil die Anleger erwarten, dass die Notenbanken die Zinsen länger auf hohem Niveau belassen, sondern auch, weil die Regierungen angekündigt haben, dass sie zur Finanzierung ihrer wachsenden Defizite mehr Schulden aufnehmen müssen. Das Gezerre um den US-Haushalt im Kongress und ein möglicher Zahlungsausfall stärken nicht gerade das Anlegervertrauen. Aber nicht nur die USA tun sich in dieser Hinsicht unrühmlich hervor. Obgleich die Schuldenquote Italiens bereits bei über 140% liegt, hat die Regierung von Giorgia Meloni die Defizitziele zuletzt angehoben. Eine solche Anhebung der Defizitziele gefährdet das Kreditrating Italiens. Da die Ratingagenturen diese Entwicklung eng verfolgen, hat sich der Renditeabstand zwischen Italien und Deutschland entsprechend vergrößert. Wenn bei Anlegern die Sorge aufkommt, dass Länder ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen oder versuchen könnten, ihre Schulden „wegzuinflationieren“, müssen Staaten ent-sprechend höhere Zinsen bieten, um Kapitalströme zur Finanzierung der wachsenden Schuldenlast anzuziehen. Die Anleger verlangen bereits eine höhere Prämie für das Halten von Anleihen mit längerer Laufzeit als Ausgleich für die gestiegenen Risiken.
Was bedeutet der Anstieg der Anleiherenditen aus Anlegersicht?
Kein Grund zur Eile
Eine weiche Landung der Wirtschaft ist Voraussetzung für eine Neupositionierung in Risikowerten. Um dies zu erreichen, muss die Fed eine stärker unterstützende Geldpolitik verfolgen, was im Endeffekt Zinssenkungen bedeutet.
Die jüngsten Entwicklungen haben jedoch die Chancen auf solche präventiven, zur Verhinderung einer Rezession notwendigen Zinssenkungen verringert. Aus unserer Sicht halten wir daher eine Untergewichtung in globalen Aktien gegenüber Staatsanleihen in den nächsten 6 bis 12 Monaten nach wie vor für geboten. Die Auswahl geeigneter Anleihen ist und bleibt dabei aber entscheidend.
Mit einem Zinssatz von 4,8% für 10-jährige US-Staatsanleihen liegen die langfristigen Renditen deutlich oberhalb angemessener Schätzungen zum nominalen Wachstumspotenzial. In Anbetracht eines derzeit geschätzten realen Potenzial-wachstums in den USA von etwa 1,8% und einer langfristigen Inflation von 2,5% sollte die nominale Rendite von Anleihen bei etwa 4,3% bis 4,5 % liegen. Zudem übersteigen die auf 5-Jahres-Sicht prognostizierten Renditen 5-jähriger Staatsanleihen nun das mittlere nominale BIP-Wachstum der letzten Dekade.
Positionierung in 10-jährigen US-Staatsanleihen
Angesichts dieses Umfelds haben wir beschlossen, die Duration in unseren Portfolios durch Positionen in 10-jährigen Anleihen zu erhöhen. Zwar ist die Renditekurve immer noch leicht invers, aber deutlich weniger als noch vor einigen Monaten. So beträgt der Renditeabstand zwischen 2- und 10-jährigen Titeln nur noch 30 Basispunkte.
Der deutsche Rentenmarkt präsentiert sich allerdings mit neutralen Nominalzinsen um 3,5% bei einem Potenzialwachstum von 1% und einer Inflation von 2,5% weniger attraktiv. Die Risiken möglicher Turbulenzen bei europäischen Staatsschuldtiteln rechtfertigen jedoch die aktuellen Zinssätze von 2,88 % für 10-jährige Bundesanleihen.
Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen vorziehen
Diese Empfehlung mag paradox erscheinen, da aufgrund des wirtschaftlichen Abschwungs steigende Ausfallraten erwartet werden.
Allerdings hat Moody’s kürzlich die Prognosen für die weltweiten Ausfallraten auf Sicht von einem Jahr von 4,9% auf 4,3% gesenkt. Zudem verfügen viele Unternehmen über solide Bilanzen und verzeichnen weiterhin komfortable Cashflows.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass kleinere Unternehmen in den kommenden Monaten aufgrund gestiegener Kapitalkosten in Schwierigkeiten geraten und staatlich garantierte Kredite nicht zurückzahlen können. Unser Anlageuniversum ist jedoch nicht auf diesen Bereich der Wirtschaft beschränkt. Im Gegensatz zu Staaten haben die Unternehmen ihre Verschuldung während der Corona-Pandemie nicht massiv erhöht.
Sie scheinen robuster und besser aufgestellt zu sein, um einer möglichen moderaten Rezession zu trotzen.
Galten Staatsanleihen aufgrund der früheren Unterstützung durch die Notenbanken als „sicherer Hafen“, bergen sie nun mehr Risiken als Unternehmensanleihen. Diese Verschiebung in der Risikowahrnehmung spiegelt sich in den trotz steigender Zinsen relativ stabilen Kreditspreads wider.
Auf hochverzinsliche Unternehmensanleihen mit kurzer Laufzeit setzen
Wir empfehlen eine Positionierung in kurzlaufenden Hochzinsanleihen, die bei einer angenommenen Laufzeit von 1,6 Jahren eine Rendite von 5,50% bieten. Eine weitere Anlageoption sind Investment-Grade-Titel, die sowohl eine Grenzrendite etwa in Höhe der erwarteten Inflation von 2% und die Chance auf einen Kapitalertrag eröffnen, wenn die Staatsanleiherenditen um 50 Basispunkte zum Durchschnittswert zurückkehren.
Wann sollte man in Aktien umschichten?
Ein Rückgang der Aktienindizes um 5-10% wäre eine Gelegenheit, langfristige Portfolios neu auszurichten mit stärkerem Fokus auf Sektoren und Unternehmen mit attraktiven zukunftsgerichteten Bewertungskennzahlen, wie z.B. LVMH bei einem erwarteten Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20.

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Galten Staatsanleihen aufgrund der früheren Unterstützung durch die Notenbanken als „sicherer Hafen“, bergen sie nun mehr Risiken als Unternehmensanleihen. Diese Verschiebung in der Risikowahrnehmung spiegelt sich in den trotz steigender Zinsen relativ stabilen Kreditspreads wider.

Laurent Denize, Global Co-CIO ODDO BHF

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